Poly
Liebe und Ehe jenseits von Monogamie
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Dating Apps bedienen offenkundig einen Bedarf: Durch die Plattformen ist es einfacher geworden, gleichgesinnte Menschen für eine sexuelle Begegnung zu finden. Wer will, kann sogar anonym bleiben. Doch fragt man Menschen danach, wie sie sich eine gute Beziehung vorstellen, denken die meisten nach wie vor an eine Beziehung zu zweit (Monogamie) und sexuelle Treue. Warum die Monogamie als Beziehungsmodell so weit verbreitet ist hat mehrere Gründe.
Die Norm der Monogamie
Geprägt wurde das Ideal der Monogamie vom Christentum bzw. dessen Ablehnung von Sexualität. Insbesondere in der katholischen Kirche soll Sexualität nur zwischen Mann und Frau innerhalb der Ehe stattfinden, um die Zeugung von Kindern zu ermöglichen. Homosexuelle Handlungen sowie außerehelicher Sex werden bis heute von der Katholischen Kirche abgelehnt, da sie ausschließlich dem Lusterleben dienen. Der Bedeutung der Unauflöslichkeit der monogamen heterosexuellen Paarbeziehung auf Lebenszeit verlieh die katholische Kirche Nachdruck, indem sie die Ehe 1547 zum Sakrament erklärte, also heilig sprach.
Christliche Kulturen sind zudem durch patriarchale Machtstrukturen gekennzeichnet, die die Norm der Monogamie stützten (für mehr Informationen siehe Tafel Das Patriarchat). Bei der Klärung der Frage, wer der Vater eines Kindes ist, ging es früher weniger um Gefühle als um die Frage von finanziellen Ansprüchen und Erbrechten. Als Mann wollte man sich sicher sein können, dass man seinen Besitz an die biologischen Nachfahren (in der Regel die Söhne) vererbte.
In Europa gab es allerdings immer Menschen, die nicht monogam gelebt haben. Besonders im Hochadel war es üblich, neben dem*der Ehepartner*in auch Geliebte zu haben. Oft hatten diese außerehelichen Geliebten auch großen Einfluss. Berühmt wurde z.B. Madame Pompadour als Mätresse des französischen Königs Ludwig XV. Und die Zarin Katharina II hatte bis zu ihrem Lebensende junge Männer als Geliebte. Seltener wissen wir, wenn Herrschende gleichgeschlechtliche Geliebte hatten, wie z.B. bei Friedrich II. Tatsächlich lebten viele König*innen und Herzög*innen bis zum Anfang des 20. Jahrhundert polygam.
Jenseits der Zweier-Beziehung
Bis in die 70er Jahre halfen Gesetze, die Verbindung von monogamer Ehe und sexueller Treue durchzusetzen. So ist eine Eheschließung ohne elterliche Zustimmung erst durch die Einführung der standesamtlichen Zivilehe (1874) möglich. Erst seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist es leichter geworden, auch unverheiratet zusammenzuleben. Bis heute verboten ist das Eingehen einer zweiten oder dritten Ehe gleichzeitig. Dabei ist Monogamie längst kein natürliches Beziehungsmodell, sondern, wie die Geschichte gezeigt hat, eine von Menschen entwickelte Vorstellung. Tatsächlich gibt es aber auch Menschen, die nicht nach diesem Modell leben können oder wollen. Dies zeigte bspw. die Befürwortung der Freien Liebe durch die 68er Studentenbewegung. Menschen, die mit mehreren Menschen zeitgleich Beziehungen führen bezeichnen sich als polyamourös. Weil dominante kulturelle Bezüge in Deutschland auf monogame Beziehungen ausgelegt sind, haben polygam oder polyamourös lebende Menschen es schwer gesellschaftliche Anerkennung zu finden. In ihren Familien und im Freundes- oder Kolleg*innenkreis stoßen sie oft auf Unverständnis. In vielen größeren Städten sowie im Internet gibt es aber Netzwerke für polyamouröse Menschen, in denen sie sich informieren oder sich über Ängste und Erfahrungen austauschen können.