Im Alltagsverständnis werden Menschen grundsätzlich zu den gesellschaftlich angenommenen Geschlechtern Mann oder Frau zugeordnet. Da die meisten Männer Frauen begehren und umgekehrt die meisten Frauen Männer, also heterosexuell sind, prägt diese Mehrheit die gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität. Diese Vorstellungen – es gäbe nur zwei Geschlechter, die sich wechselseitig begehren – haben sich dabei zu Normen entwickelt und prägen als „Heteronormativität“ nach wie vor den Alltag. Um die Vielfalt der Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierungen außerhalb dieser Norm zu benennen und sichtbar zu machen, wurden neue Begriffe geschaffen. Einer dieser Begriffe ist: queer. Wir sprechen zum Beispiel von der queeren Szene, queeren Studien, queeren Festivals, queeren Zentren, um auszudrücken, dass es hier um Lebensweisen und Identitäten jenseits der Heteronormativität geht. Die Anwendung des Begriffs kann jedoch oft unklar sein: Wann gebrauchen wir zum Beispiel das Wort queer und wann Abkürzungen wie LSBTI* (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans*, Inter*)?

Die Geschichte des Begriffs „queer“

„Queer“ kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt so viel wie: seltsam, verrückt, eigenartig. Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff als Beschimpfung verwendet – „queer“ galt vor allem als Beleidigung für schwule Männer. Das Wort wurde aber auch genutzt, um Menschen abzuwerten, die nicht der heteronormativen Vorstellung entsprachen. In den 1980er und 1990er Jahren wurde der Begriff umgedeutet und durch sogenanntes „Reclaiming“ positiv besetzt. Reclaiming bedeutet: Menschen, die mit dem Begriff „queer“ herabgewürdigt werden sollten, nutzen „queer“ fortan als Selbstbezeichnung. Auch wenn „queer“ teilweise (im Anglo-Amerikanischen Raum) noch als Beleidigung genutzt wird, hat der Begriff heute einen breiten Bedeutungswandel erfahren.

Wer bezeichnet sich als „queer“?

„Queer“ ist ein Überbegriff für Sexualitäten und Geschlechteridentitäten außerhalb der Heteronormativität, also ein Überbegriff für alle, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Weil der Begriff so offen ist, bietet er vielen Menschen die Möglichkeit, sich als „queer“ zu identifizieren. Verschiedene Identitäten werden dabei bewusst nicht scharf voneinander abgegrenzt.

„Queer“ bedeutet also nicht das gleiche wie zum Beispiel LSBTI*. Nicht alle möchten in jeder Situation „queer“ sein. Sie nutzen dann Begriffe wie zum Beispiel Lesbisch, Schwul, Bisexuell etc. für sich, um mit ihrer Identität und ihren Lebensweisen sichtbar zu bleiben und nicht mit allen anderen Identitäten zusammengefasst zu werden. Andere hingegen nutzen den Begriff „queer“ für sich noch breiter und verwenden ihn auch für Beziehungskonzepte wie Polyamorie oder sexuelle Fetische – also Lebensweisen, die schambehaftet sind und die Personen darum nicht öffentlich ausleben möchten.

Wann Menschen den Begriff „queer“ verwenden, ist also nie ganz festgelegt, teilweise umkämpft und unscharf. Der Begriff soll gar nicht spezifisch sein, sondern zeigen, wo gesellschaftliche Machtverhältnisse Menschen außerhalb der Wertvorstellungen an den Rand drängen. Im Kampf um sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung ist „queer“ eine Bezeichnung, die offen gedacht und unbequem bleibt und damit die gesellschaftliche Norm hinterfragt.

Illustrationen: Darcy Quinn