Koloniale Mythen über afrikanische Sexualitäten

Für die meisten Deutschen hat die koloniale Vergangenheit heute scheinbar kaum noch eine Bedeutung. Afrikaner*innen haben es da nicht so einfach. Die koloniale Vergangenheit ist präsent in Ortsnamen, Gebäuden und Ländergrenzen, aber auch in Macht-, Besitz- und Landverteilung. Postkoloniale Auswirkungen sind heute noch in allen Lebensbereichen zu beobachten.

Eine der vielen Vorstellungen, die Europäer*innen über Afrika erschaffen und weitergetragen haben, ist der Mythos über hypersexuelle Männer und lüsterne Frauen bei gleichzeitigem Fehlen queerer Lebensweisen. Europäische Kolonialmächte haben die Menschen Afrikas vor allem als naturverbunden und unkultiviert beschrieben und dadurch eine Rechtfertigung für ihre koloniale Ausbeutung gesucht.

Als die ersten europäischen Schiffe an den Küsten Afrikas landeten, war der Kontinent Heimat von historisch lang gewachsenen und kulturell vielfältigen Gesellschaften. Angesichts dieser Vielfalt und der Größe des Kontinents überrascht es nicht, dass auch geschlechtliche und sexuelle Muster vielfältig waren und sind.

Der Ursprung der Sexualisierung „primitiver“ Afrikaner*innen geht darauf zurück, dass weiße Europäer*innen in ihrer Geschichtsschreibung wie zum Beispiel in The History of the Decline and Fall of the Roman Empire von 1781 (dt.: Verfall und Untergang des Römischen Imperiums; Autor Edward Gibbons) ohne weitere Kenntnisse der afrikanischen Gesellschaften die Annahme vertraten, dass es keine homosexuellen Schwarzen Menschen geben würde. In den folgenden Jahrzehnten haben viele weitere weiße Wissenschaftler*innen den Mythos der afrikanischen sexuellen Sonderrolle nicht korrigiert, sondern die Stereotype und Klischees noch verstärkt, indem sie queere Lebensweisen nicht ernsthaft untersucht haben oder ihre Beobachtungen entweder nicht berichteten oder herunterspielten.

 

 

Durch die christliche Missionierung der Kolonialländer wurden zudem viele vorherrschende Formen von Sexualität moralisiert, als sündhaft oder verunreinigend beschrieben. Neben der Missionierung hat auch der Versklavungshandel den Blick auf Schwarze Männlichkeit gelenkt und nicht-heterosexuelles Begehren für Europäer*innen weniger sichtbar gemacht. Was mit Unkenntnis und Verleugnung von nicht-heteronormativen Lebensweisen in Afrika begann, endete in einer tabuisierten Vorstellung von „queerem“ Leben – ein Tabu, das jedoch auf europäischen und nicht auf afrikanischen Moralvorstellungen beruht. Die Kolonialmächte importierten die Intoleranz gegenüber nicht-heteronormativen Lebensweisen sowie Systeme der Überwachung und Bestrafung. Nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien übernahmen die neuen Regierungen häufig die Gesetze und die Moralvorstellungen der alten Kolonialmächte.

Trotz des kolonialen Erbes sind viele Länder Afrikas im Umbruch und gehen sehr unterschiedliche Wege: Während es in einigen Ländern unerfüllten Forderungen nach einem Antihomosexuellengesetz gibt, haben andere Länder wie die Kapverden und Mauritius gleichgeschlechtliche Handlungen entkriminalisiert. In der Republik Südafrika leben mehrere Regierungsmitglieder offen homosexuell, Botswana und Mosambik haben Gesetze zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung verabschiedet. Die Stimmen von afrikanischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Inter*-Menschen werden immer lauter, insbesondere das Internet und Social Media verleiht ihren Perspektiven Ausdruck.

 

 

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Illustrationen: Darcy Quinn