Geschlecht und Körpernormierungen im Spiegel

Wie möchten wir aussehen? Und wie sollen andere uns wahrnehmen? Auf Sozialen Medien haben wir heute mehr als je zuvor die Möglichkeit, uns mit Aussehen und Körperformen zu beschäftigen. Nutzer*innen können Bilder von sich hochladen und so zu einem gewissen Maß bestimmen, wie sie sich zeigen möchten: Bildausschnitt, Pose und Hintergrund können sie individuell auswählen. Aber ebenfalls verändern: Durch Filter oder Weichzeichner entstehen verbesserte, inszenierte Darstellungen von Körpern und Gesichtern. Soziale Medien bieten uns also oftmals verzerrte Eindrücke von dem vermeintlich idealen Äußeren. Die Bilder wurden geschönt und an die Norm angeglichen und machen die Vielfalt menschlicher Körper unsichtbar. Viele Influencer*innen, also Nutzer*innen mit großer Reichweite, teilen passend dazu Inhalte zu Themen wie Fitness, Schönheit und gesundem Lebensstil. Die meisten Körper, die wir hier sehen, sind schlank, trainiert, gesund und weiß. Dieses Bild entspricht dem, was wir als „Normkörper“ bezeichnen. Das Ideal des perfekten Körpers ist zwar aktuell besonders sichtbar, hat aber eine längere Geschichte. Woher kommt unsere heutige Vorstellung davon, wie unsere Körper aussehen sollten?

Wie (geschlechtliche) Körperbilder konstruiert werden

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt: Das Ideal, welche Körperform als „schön“ galt, wandelte sich ständig. In der Renaissance zum Beispiel galt der ideale Körper als füllig. Das Körperideal der Schlankheit, das sich bis heute hält, gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Mit der Industrialisierung bildete sich eine breitere Mittelschicht heraus, mehr Menschen als vorher konnten sich nun finanziell mehr leisten und sich individuellere Wünsche erfüllen. Gleichzeitig mit dieser Individualisierung der Gesellschaft gab es eine zunehmende Überproduktion von Nahrungsmitteln und damit eine breitere Tendenz zum Überfluss. Gesunde Lebensführung rückte mehr in den Mittelpunkt, ab den 1920er Jahren wuchs eine Diätindustrie, die Produkte und Programme für die gesündeste Ernährung verkaufte. So entstand der Zusammenhang zwischen Nahrung, Diät und Fitness – Menschen sollten sich in Selbstdisziplin üben, um den eigenen Körper zu kontrollieren. Bezeichnend ist dabei die Gleichung, die wir noch heute in (Sozialen) Medien wiederfinden: Ein gesunder Körper gilt als schlank und ein schlanker Körper als schön.

In Deutschland sind alle Geschlechter von Vorstellungen der Schlankheit und Schönheit betroffen. Körperbilder bewegen sich jedoch vor allem im Rahmen der Zweigeschlechtlichkeit, also Zuschreibungen an Körper, die entweder als weiblich oder als männlich gelesen werden. Das Schlankheitsideal wird dabei vor allem mit Weiblichkeit verbunden. Denn als sich in der kapitalistischen Gesellschaft ein breiteres Bürgertum herausbildete, verstärkten sich auch spezifische Geschlechterrollen – der Mann in der Arbeitswelt und die Frau im häuslichen Bereich. Damit entstand auch die Idee des Frauenkörpers, der in der Arbeitswelt und Öffentlichkeit weniger Raum einnimmt, schlank und schön ist. Schönheit und Schlankheit entwickelten sich damit für Frauen vom Ideal zur Norm. Auch wenn das Bild der ausschließlich häuslichen Frau vielfach zum Beispiel von der feministischen Emanzipationsbewegung kritisiert wurde und heute weniger starr ist, wachsen junge Frauen noch immer mit der Erwartung auf, schön sein zu müssen. Aus dem Rückblick in die Geschichte der Körperideale können wir also vor allem lernen, dass es nicht den idealen Körper gibt. Stattdessen hängen Körperbilder immer mit gesellschaftlichen Kontexten, Entwicklungen und Rollenbildern zusammen. Aussehen und Schönheit sind dazu noch mit diskriminierenden gesellschaftlichen Strukturen wie Sexismus, Rassismus und Klassismus verknüpft. Darum sprechen wir davon, dass der „Normkörper“ gesellschaftlich konstruiert wird.

Was machen Körperbilder mit uns?

Die wenigsten Menschen entsprechen natürlicherweise diesem Normkörper. Der Umgang mit unserem Körper scheint in unserer individuellen Verantwortung zu liegen: Wir sollen unsere Körper trainieren und formen. Und uns Schönheit kaufen, denn wie sehr wir unser Aussehen verändern und anpassen können, hängt auch von unseren finanziellen Ressourcen ab: Können wir uns den Leberfleck lasern lassen, uns kosmetische Eingriffe finanzieren, uns noch die eine teurere Creme leisten? Das beeinflusst auch die psychische Gesundheit, bei jungen Frauen treten körperbezogene Ängste und Unsicherheiten noch öfter auf als bei jungen Männern: Es bleibt das Gefühl, nicht genug zu sein, weil das Ideal unerreichbar ist. Die Zweifel über unsere Körper handeln wir dabei erst einmal mit uns selbst aus – wie können wir unsere Körper durch Fitness, Kosmetik oder Essverhalten verändern? Diese Fragen, mit denen wir uns im Privaten beschäftigen, versuchen viele Bewegungen in die öffentliche Diskussion zu rücken.

Die Norm hinterfragen

Von der Vielfalt an Körperformen und Gesichtern sehen wir nur einen kleinen Bruchteil. Was wir sehen, können wir jedoch diverser gestalten und damit verändern, was wir als „Norm“ empfinden. Soziale Medien transportieren nicht nur Bilder, die die Vorstellung eines „Normkörpers“ unterstützen, sondern bieten auch Stimmen eine Plattform, die die Vielfalt von Körpern sichtbar machen möchten. Eine Bewegung, die viel Aufmerksamkeit erregt, ist die der „Bodypositivity“, der Hashtag #bodypositivity trendet in sozialen Netzwerken. Dahinter steht der Gedanke: Jede Person sollte die Möglichkeit haben, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist. Damit knüpft die Bodypositivity-Bewegung an die Erfolge der „Fat Acceptance“ oder „Fat Positivity“ an, die seit den 1960er Jahren dafür kämpfen, das Stigma um dicke Körper zu brechen. Andere stehen hinter der Idee der „Bodyneutrality“, also dem Aussehen und dem Wert von Schönheit weniger Bedeutung beizumessen. Auch viele Künstler*innen bilden in ihren Werken vielfältige Körper ab. All diesen Ansätzen ist gemein: Kritik am Körperideal ist wichtig. Unsere Vorstellung davon, welches Aussehen die Norm ist, kann sich wandeln und wir können dazu beitragen und uns gegenseitig bestärken, indem wir Anderen gegenüber weniger bewertend sind und vielfältigen Bildern mehr Sichtbarkeit ermöglichen.

Illustrationen: Darcy Quinn