Von Glücks­bringer*in­nen zu Verfolgten

Der Begriff Hijra (wörtlich: verlassen, auswandern, fliehen) bezeichnet in Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka und Nepal Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau definieren. Hijras wurden in Indien (2014) und in Pakistan (2009) offiziell als drittes Geschlecht anerkannt. Nach westlichen Begriffen werden sowohl transgender als auch intersexuelle Menschen zu den Hijras gezählt.

Von Hijras erzählen bereits die großen indischen Epen, wie z.B. das Kamasutra. Hijras sind auch eingebettet in die religiösen Erzählungen des Hinduismus und gelten als die vermengte Kraft von Mann und Frau. Laut einem Mythos bat ein Maharaja die Hindu-Göttin Bahuchara Mata um einen Sohn. Seine Frau gebar daraufhin einen Jungen. Bahuchara Mata suchte diesen Jungen im Traum auf und verlangte von ihm, sich kastrieren zu lassen, sich weiblich zu kleiden und ihre Dienerin zu werden. Bis heute führen viele Hijras eine Kastration zur rituellen Transformation durch. Hijras wird die Macht zugesprochen, Segen oder Fluch, vor allem aber Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit zu bringen. Ihre Anwesenheit bei Hochzeiten, Geburten, Geschäftsabschlüssen galt daher als glücksbringend und sie genossen hohes Ansehen. Dies begann sich im 17. Jahrhundert mit den christlichen Missionaren zu ändern. Die Missionare sahen Hijras als Zeichen von Verderbtheit und Unmoral an. In der britischen Kolonialzeit verschärfte sich die Situation für Hijras erneut. Die Briten sahen Hijras als anstößig an und verabschiedeten Gesetze zu ihrer Verfolgung. Nach der Unabhängigkeit 1947 wurden diese diskriminierenden Gesetze von den Regierungen Indiens und Pakistans übernommen.

Hijras im 21. Jahrhundert

Heute unterscheiden sich Hijras nicht nur wegen der spirituellen Kraft, die ihnen zugeschrieben wird, von westlichen Transgender, sondern auch in ihrer Lebensweise. Sie organisieren sich in Gemeinschaftshäusern, denen zumeist eine ältere Hijra als eine zentrale Mutterfigur und Guru vorsteht. Diese teilt die Arbeit in der Gemeinschaft auf, bietet Beistand bei gewalttätigen Übergriffen, verlangt als Gegenleistung Gehorsam und einen Teil des Geldes, das die Hijras verdienen. In vielen Hijra-Gemeinschaften wird die Göttin Bahuchara Mata verehrt; es gibt aber auch christliche und muslimische Hijras. Ihre Partner*innen sind zumeist Männer, die sich als heterosexuell betrachten. Sie halten ihre Beziehung mit einer Hijra häufig geheim.

Auch wenn Hijras seit Jahrhunderten Teil der kulturellen Vielfalt auf dem indischen Subkontinent sind und vom Gesetzgeber inzwischen als drittes Geschlecht anerkannt sind, ist es sehr schwer für sie, eine gut bezahlte Arbeit zu finden. Neben britischen Gesetzen bewirkte die Verbreitung von westlichen Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität, dass Hijras zunehmend an den Rand der Gesellschaft, in die Bettelei und Sexarbeit gedrängt wurden. Dieser Wandel spiegelt sich in ihren Diskriminierungserfahrungen wider. Dabei ist das Vertrauen zur Polizei sehr gering. Hijras gehen selten zur Polizei, weil sie dort weitere Übergriffe oder Beleidigungen befürchten.

Insgesamt hofft die Hijra-Gemeinschaft, dass sich in Indien und Pakistan etwas verändert und sie leichter Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitswesen erhalten. Ein erster symbolhafter Erfolg war in 2013 die Wahl von Sanam Fakir als erste Hijra in das pakistanische Parlament.

In 2017 ging ein Kurzfilm von Vicks über die Lebenssituation von Hijras in Indien viral (über 10 Mio aufgerufen), in der ein Mädchen und ihre Hijra-Mutter vorkommen.

Jill Peters

Und hier kannst Du die Arbeiten der Künstlerin Jill Peters sehen, die Hijras fotografiert und sie zu ihren Lebensumständen interviewt hat.

Illustrationen: Darcy Quinn