Überschlägst Du beim Sitzen die Beine übereinander oder sitzt du breitbeinig? Lachst und lächelst Du viel oder wenig?
Hast Du mal darauf geachtet, auf welche Weise Du Dir Oberteile ausziehst? Wie Du diese Fragen beantwortest, hat vermutlich viel mit deiner Geschlechterrolle und deiner geschlechtlichen Sozialisation zu tun. Frauen lächeln viel, schlagen beim Sitzen die Beine übereinander und ziehen ihr T-Shirt von unten mit überkreuzten Armen über den Kopf. Männer hingegen sitzen häufiger breitbeinig, lächeln deutlich weniger und ziehen ihr Oberteil mit einem Arm über den Kopf aus. Die Erklärungen, warum sich Männer und Frauen an diesen sowie an so vielen anderen Stellen unterschiedlich verhalten und gesellschaftlich unterschiedliche Positionen einnehmen, sind vielfältig und reichen von biologischen Erklärungen über erlerntes Sozialverhalten. Aber was stimmt nun? Ist Geschlecht angeboren oder erlernen wir geschlechtliche Verhaltensweisen im Laufe unserer Sozialisation?

„Doing gender“

Der Ansatz des „doing gender“ geht davon aus, dass die geschlechtliche Zugehörigkeit nicht biologisch vorherbestimmt, sondern stattdessen sozial konstruiert ist. Konstruiert bedeutet in diesem Fall, dass Menschen Handlungen im Alltag ausführen, um ihre Zugehörigkeit zu den Geschlechtern Mann/Frau darzustellen. Gleichzeitig interpretieren sie das Verhalten von anderen Menschen stets als „männlich“ oder „weiblich“. Die rein biologischen Faktoren von Geschlecht liefern keine ausreichende Erklärung für viele Verhaltensunterschiede bei Männern und Frauen. So tragen Frauen sowohl Röcke als auch Hosen während Männer nur Hosen tragen. Biologisch gesehen liegt dafür kein Grund vor.

Geschlechterrollen im Wandel

Obwohl sich Geschlechterrollen gesellschaftlich verändern können (und dies auch kontinuierlich tun), orientieren sich die meisten unserer Verhaltensweisen heute immer noch in starkem Maße daran, was als „männliches“ oder „weibliches“ Verhalten gilt. So ist bspw. auch unsere Arbeitswelt in sogenannte „Männer- und Frauenberufe“ aufgeteilt: Frauen arbeiten häufiger in weniger gute bezahlen Jobs im Sozialen Sektor und in der Pflege, während Männer häufiger in technischen und handwerklichen Berufen tätig sind.
Gleichzeitig gibt es viele Berufsgruppen, wie bspw. Apotheker/ Apothekerin, Volksschullehrer/ Grundschullehrerin oder Krankenpfleger/ Krankenschwester, die in der Geschichte mehrfach ihre Zuordnung zu einem Geschlecht gewechselt haben. Und auch andere Phänomene oder Eigenschaften, die wir heutzutage automatisch einem Geschlecht zuordnen, haben sich im Laufe der Zeit verändert. Z.B. Kleidung: früher galt die Farbe Rosa/Rot als eine männliche Farbe, da Rot als etwas „königliches“ und „mächtiges“ angesehen wurde. Mädchen hingegen wurden in Blau gekleidet, da dies in der christlichen Symbolik die Farbe des Himmlischen und Weiblichen ist. Für welches Geschlecht bestimmte Kleidung oder Berufe jeweils gedacht werden, ist demnach abhängig vom kulturellen, politischen und religiösen Kontext.

…und in der Zukunft?

All diese Beispiele zeigen, dass das, was wir jeweils als männlich oder weiblich verstehen, nicht unbedingt immer so sein muss oder schon gar nicht immer so war. Geschlechterrollen sind sozial konstruiert und immer abhängig von ihrem historischen, geografischen und kulturellen Kontext. Das heißt, wir können heute mit beeinflussen, was wir als männlich und was wir als weiblich verstehen möchten. Oder wir können versuchen, Berufe, Tätigkeiten und Verhaltensweisen von ihrem zugeschriebenen Geschlecht zu lösen, denn warum sollten nur Männer Führungskräfte sein und warum sollten sich nur Frauen liebevoll um Kinder kümmern können? Nur, wenn sich zukünftig unsere Idee davon erweitert, was Frauen und Männer tun sollten oder dürfen, fangen wir an, eine Gesellschaft zu gestalten, in der Menschen freier entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten möchten – unabhängig von ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit.

Nach einer Fotografie von Jannis Muser

Illustrationen: Darcy Quinn